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Donnerstag, den 14. Februar 2019 um 05:14 Uhr

Die Menschen der Bronzezeit: Neueste Forschung zur Populationsgenetik, Lebensweise und Kultur im Kaukasus

Paläogenetische Untersuchungen bezeugen die komplexe Interaktion von Bevölkerungsgruppen der eurasischen Steppe und der vorderasiatischen Bergländer in der Bronzezeit zwischen 6500 und 3500 vor unserer Zeitrechnung (v.u.Z.). Die Ergebnisse wurden jüngst im Fachjournal Nature Communications veröffentlicht.

Ein internationales Forschungsteam koordiniert vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena (MPI-SHH) und der Eurasien-Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) in Berlin konnte erstmals systematische paläogenetische Untersuchungen im Kaukasus durchführen. Die Studie fußt auf den Analysen genomweiter Daten von 45 Individuen aus der Steppen- und der Gebirgszone des Nordkaukasus. Zwei der Individuen entstammen dem Gräberfeld „Kudachurt 14“, zentrales Forschungsobjekt einer interdisziplinären Promotion an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU).

Der Kaukasus ist in genetischer wie in kultureller Hinsicht eine entscheidende Schnittstelle für die Geschichte Europas. Heute eine der Regionen mit der höchsten linguistischen Vielfalt, waren frühere Bevölkerungsgruppen an der Ausprägung der genetischen Komponenten, die heutige Europäer entscheidend prägen, maßgeblich beteiligt. Aus dem Kaukasus und über den Kaukasus gelangten in der Vorgeschichte auch entscheidende Innovationen, wie die ersten hoch wirksamen Metallwaffen oder Rad und Wagen, nach Europa.

Die untersuchten Skelettüberreste stammen aus verschiedenen bronzezeitlichen Kulturen zwischen 6500 und 3500 v.u.Z. Die Untersuchungen zeigen, dass die genetische Signatur in den nördlichen Bergflanken den Gruppen südlich des Kaukasus ähnelt und dort eine scharfe genetische Grenze zu den Steppengebieten im Norden verläuft.

„Wir gehen davon aus, dass sich im Zuge der Neolithisierung, also mit dem Aufkommen von Ackerbau und Viehzucht zu Beginn der Jungsteinzeit, aber spätestens im 5. Jahrtausend v.u.Z. Bevölkerungsgruppen aus dem Süden über das Gebirge nach Norden ausbreiteten und dort auf diejenigen der eurasischen Steppe trafen“, sagt Studienleiter Wolfgang Haak, Gruppenleiter für Molekulare Anthropologie am MPI Jena. „Die genetische Grenze entspricht im Prinzip den öko-geographischen Regionen. Interessanterweise ist heute dagegen der Kaukasus selbst eine Barriere für Genfluss.“ Über die Jahrhunderte hinweg entstand eine Interaktionszone, in der die Traditionslinien der Hochkulturen Mesopotamiens auf diejenigen der Steppe trafen. Diese Verflechtung wird im kulturellen Austausch und im Transfer von technischen und sozialen Innovationen deutlich, die – und dies zeigt die Studie unmissverständlich – auch über biologische Grenzen hinweg stattfand. „Die genetischen Untersuchungen geben allerdings keine Anhaltspunkte für umfangreiche Migrationsbewegungen aus dem Süden oder später aus dem Nordwesten wie dies von verschiedenen Archäologen postuliert wurde. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf das Verständnis der nordkaukasischen Kulturentwicklung im 4. Jahrtausend vor Christus“, erläutern Professor Svend Hansen, Direktor der Eurasien-Abteilung, und Dr. Sabine Reinhold, Co-Leiterin des Forschungsteams. Chuancho Wang, Erstautor der Studie und Populationsgenetiker am MPI für Menschheitsgeschichte und nun Professor an der Universität Xiamen in China, fügt hinzu: „Das sind überraschende genetische Befunde, die die Komplexität der Genese der Pastoralisten der Steppe aufzeigen.“

In der Studie wurden auch zwei Individuen analysiert, die auf dem Gräberfeld „Kudachurt 14“ bestattet wurden. Kudachurt 14 nimmt eine lokale Schlüsselrolle im Übergang der Mittel- zur Spätbronzezeit im Vorgebirge ein. In dieser Zeit, zwischen ca. 2500 und 1400 v.u.Z., fanden erhebliche soziale und subsistenzwirtschaftliche Transformationen statt: Fragmentation kultureller Gruppen, Rückzug der pastoralen Lebensweise im Steppengebiet und sesshafte Aufsiedlung des Hochgebirges, sowie der Wechsel von hierarchischen zu egalitären Gesellschaftsstrukturen.

Katharina Fuchs, wissenschaftliche Koordinatorin im SFB 1266 TransformationsDimensionen und Absolventin der Graduiertenschule Human Development in Landcapes an der Universität Kiel, untersuchte im Rahmen ihrer Promotion die Gräber und menschlichen Skelette von Kudachurt 14. Sie beschäftigte sich mit der Rekonstruktion von sozialer Ungleichheit, Demographie, Mundgesundheit und Ernährung der Bestatteten und gewann grundlegende Erkenntnisse zur Lebensweise der damaligen Bevölkerung: „Es zeigte sich, dass das komplexe Bestattungsbrauchtum bestimmte Regeln wie soziales und biologisches Geschlecht, aber auch Heredität von sozialem Status berücksichtigte. Unterschiede in der Ernährung oder der Krankheitsbelastung des Kauapparates, auch nicht in solchen, die durch spezifische Arbeitsprozesse entstanden, zeigte sich jedoch nicht. Wir haben es hier mit einer Bevölkerungsgruppe zu tun, die bereits die agrarische Lebensweise ausübte, aber noch nicht in den eher egalitären Strukturen der Gesellschaften der Eisenzeit lebten. Die Kariesraten der Bestatteten von Kudachurt sind sehr hoch, allerdings wurde der Bedarf an Kohlenhydraten nicht mit den später extensiv genutzten C4-Nutzpflanzen gedeckt.“

Für Mitautorin Fuchs sind die Ergebnisse der neu publizierten Studie sehr spannend. So haben die Schmuck- und Waffenformen der Grabinventare von Kudachurt Analogien im Hochgebirge, der sogenannten Nordkaukasischen Kultur. Dies ist interessant, da die zwei analysierten Individuen laut den Analyseergebnissen dem Abstammungsprofil der südlichen Kaukasusregionen ähnlicher sind als denen der Steppe. „Die Bestattungspraxis in Kudachurt ist sehr divers und zeigt Einflüsse aus dem Steppenraum und aus dem Hochgebirge. Die Ergebnisse zur Populationsgenetik verdeutlichen, wie komplex die Zusammenhänge von genetischer Verwandtschaft und soziokulturellen Strukturen auch in kleineren Gebieten des Kaukasus waren. Da sind zum Beispiel die Toten von Kabardinka, einem Fundplatz mit ähnlicher Zeitstellung wie Kudachurt und nur 90 Kilometer entfernt, aber in höher in den Bergen gelegen. Die Kollegen vom MPI und dem DAI fanden nun heraus, dass diese Individuen genetisch dem Profil der Steppenbevölkerung ähnlicher sind. Sie wurden anders bestattet als die Toten von Kudachurt, ohne Waffen und Schmuck aus Bronze, aber mit ähnlicher Keramik.“

Zusätzlich zu den neuen Entwicklungen zur Populationsgenetik freut sich Fuchs über die Möglichkeiten, die die Analyse alter DNA für die klassischen Methoden der physischen Anthropologie – und andersherum – bergen. Ein Beispiel ist die Diagnose des Geschlechtes: „Wenn beide Diagnosen, die genetische und die morphologische, also der Geschlechtsdimorphismus des Skelettes, übereinstimmen, ist das ein tolles Ergebnis. Denn der Mensch ist in seiner physischen Konstitution sehr unterschiedlich – heute und früher, was uns Osteologen oft vor Herausforderungen stellt.“


Den Artikel finden Sie unter:

http://www.uni-kiel.de/de/detailansicht/news/044-bronzezeit/

Quelle: Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (02/2018)


Publikation:
Chuan-Chao Wang et. al.: Ancient human genome-wide data from a 3000-year interval in the Caucasus corresponds with eco-geographic regions, Nature Communications, DOI: 10.1038/s41467-018-08220-8 (open access)

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