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Donnerstag, den 13. Dezember 2018 um 04:39 Uhr

Magische kolloidale Cluster

Komplexität in der Natur – vom Chlorophyll bis hin zu Lebewesen – entsteht häufig durch Selbstorganisation und gilt als besonders robust. Von praktischer Bedeutung zeigen sich kompakte Ansammlungen elementarer Partikel, so genannte Cluster, die als Atomkerne, Nanoteilchen oder Viren vorkommen. Nun entschlüsselte ein interdisziplinäres Forscherteam um die Professoren Nicolas Vogel und Michael Engel von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) die Struktur und den Bildungsprozess einer Klasse dieser hochgeordneten Cluster. Ihre neuen Erkenntnisse zum Verständnis der Strukturbildung in Clustern veröffentlichten sie in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Nature Communications“.*

Als Cluster bezeichnen Physiker eine eigene Materieform, die im Übergangsbereich zwischen isolierten Atomen und ausgedehnten Festkörpern oder Flüssigkeiten angesiedelt ist. Die so genannten „magischen Cluster“ gehen ursprünglich auf Arbeiten von Eugene Wigner, Maria Göppert-Mayer und Hans Jensen zurück, die mit dieser Theorie die Stabilität von Atomkernen erklären konnten und dafür im Jahr 1963 mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet wurden. „Bisher ging man in der Wissenschaft davon aus, dass der Effekt ausschließlich durch die Anziehung von Atomen zustande kommt“, sagt Prof. Dr. Nicolas Vogel, Professur für Partikelsynthese. „Unsere Forschungen belegen nun, wie auch Partikel, die sich nicht anziehen, solche Strukturen bilden. Damit trägt die Publikation zum Verständnis von Strukturbildungen von Clustern ganz generell bei.“

Die Arbeiten basieren auf einer interdisziplinären Kooperation: Prof. Dr. Nicolas Vogel, Forscher am Lehrstuhl für Feststoff- und Grenzflächenverfahrenstechnik, und Prof. Dr. Michael Engel, Wissenschaftler am Lehrstuhl für Multiskalensimulation – beide aus dem Department für Chemie und Bioingenieurwesen – sowie der Materialwissenschaftler Prof. Dr. Erdmann Spiecker, Inhaber des Lehrstuhls für Werkstoffwissenschaften (Mikro- und Nanostrukturforschung), arbeiteten dabei eng zusammen und ergänzten ihre Expertisen. Vogel kümmerte sich um die Synthese, Spiecker um die Strukturanalyse und Engel um die Modellierung von Clustern aus kolloidalen Polymerkugeln. Der Begriff kolloidal leitet sich vom altgriechischen Wort für Leim ab und bezeichnet Teilchen oder Tröpfchen, die in einem Dispersionsmedium – einem Feststoff, Gas oder Flüssigkeit – fein verteilt sind. „Unsere drei Forschungsansätze sind in diesem Projekt besonders eng miteinander verknüpft“, betont Prof. Engel, „sie ergänzen sich gegenseitig und ermöglichen erstmalig ein tiefes Verständnis des zugrundeliegenden Strukturbildungsprozesses.“

Strukturen organisieren sich selbst

Erster Schritt der Wissenschaftler war die Synthese der kolloidalen Cluster, die verschwindend klein sind – ihre Gesamtgröße beträgt gerade einmal ein Zehntel des Durchmessers eines Haares – und in einem mehrstufigen Prozess entstehen. „Zunächst verdampft Wasser aus einem Emulsionstropfen und die Polymerkugeln werden zusammengeschoben. Danach bilden sie im Laufe der Zeit immer gleichmäßigere kugelförmige Cluster und beginnen zu kristallisieren. Mehrere tausend Einzelteilchen finden dabei – und das ist das Bemerkenswerte – von selbst ihre ideale Position in einer präzisen hochsymmetrischen Struktur, bei der alle Partikel auf vorhersagbaren Plätzen sitzen“, erläutert Prof. Vogel.

Die Forscher fanden mehr als 25 verschiedene magische kolloidale Cluster in verschiedenen Typen und Größen und arbeiteten vier unterschiedliche Cluster-Morphologien heraus: Mit der schnellsten Verdampfung bilden sich verbeulte Cluster, da sich die Tröpfchengrenzfläche schneller bewegt als sich kolloidale Partikel verfestigen können. Wenn die Verdampfungsrate gesenkt wird, dominieren kugelförmige Cluster. Sphärische Cluster weisen eine gleichmäßig gekrümmte Oberfläche mit nur schwacher Kristallordnung auf. Zudem bilden sich mit weiter abnehmender Verdampfungsrate Cluster mit ikosaedrischer Symmetrie heraus. Diese Cluster sind besonders hochsymmetrisch und weisen viele zwei-, drei- und fünffache Symmetrieachsen auf.

In einem weiteren Schritt führten die Forscher Simulationen und hochgenaue numerische Berechnungen durch. Die Analyse belegten, dass Cluster, deren Zahl der Bausteine identisch mit einer so genannten magischen Zahl ist, erhöhte Stabilität aufweisen – wie von der Theorie vorhergesagt. Das Vorkommen der beobachteten ikosaedrischen Cluster ist wohlbekannt für Viren und ultrakleine Metallcluster, konnte aber bisher nicht direkt untersucht werden. Die aktuellen Ergebnisse liefern daher erstmalig ein detailliertes und systematisches Verständnis der Ausbildung solcher magischen Cluster im untersuchten Modellsystem und erlauben Rückschlüsse auf andere natürliche Systeme, die zur Clusterbildung neigen.


Den Artikel finden Sie unter:

https://www.fau.de/2018/12/news/wissenschaft/magische-kolloidale-cluster/

Quelle: Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (12/2018)


Publikation:
https://doi.org/10.1038/s41467-018-07600-4

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