Dienstag, den 23. Mai 2017 um 10:51 Uhr

Neue Inhibitoren hemmen Influenzaviren

 Influenzaviren können für den Menschen gefährlich werden. Darum suchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ständig nach Möglichkeiten, die Virusinfektion zu stoppen. Multivalente Inhibitoren, die mit Hilfe zahlreicher Liganden an die Virusoberfläche binden, scheinen dabei besonders vielversprechend zu sein. Wissenschaftler vom Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP), der Humboldt-Universität zu Berlin (HU), der Charité – Universitätsmedizin Berlin, dem Deutschen Rheuma-Forschungszentrum Berlin (DRFZ) und der Freien Universität Berlin (FU Berlin) haben jetzt erstmals den multivalenten Ansatz mit Peptiden aus Antikörpern kombiniert. Das Vorgehen hatte Erfolg: In vitro und in vivo Experimente zeigten, dass sich Influenza A Viren zuverlässig mit dem neuen Wirkstoff hemmen lassen. Das neue Inhibitoren-Design legt die Grundlagen für die Entwicklung neuer antiviraler Medikamente, und zwar nicht nur gegen Influenza, sondern auch gegen andere Virusinfektionen. Die Ergebnisse der Studie sind soeben im Fachmagazin „Angewandte Chemie“ erschienen.

Influenzaviren sind tückisch. Beim Einatmen gelangen sie in unsere Lunge und greifen dort die Lungenepithelzellen an, der erste und entscheidende Schritt bei einer Infektion durch diese Viren. Der Angriff ist möglich, weil die Viren sich an bestimmte Wirtszellen in der Lunge binden. Genau diesen Schritt wollen Wissenschaftler vom Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP) und der Humboldt-Universität (HU) unterbinden. Gemeinsam mit Kollegen von der Charité – Universitätsmedizin Berlin, dem Deutschen Rheuma-Forschungszentrum Berlin (DRFZ) und der Freien Universität Berlin (FU Berlin) haben sich die Forscher deshalb auf die Suche nach einem Wirkstoff gemacht, der Influenzaviren hemmt, selbst wenn die Infektion schon ausgebrochen ist. Bislang gibt es keine antivirale Therapie, die dazu in der Lage wäre. Doch nach mehr als zweieinhalb Jahren institutsübergreifender Forschung scheint das Eis in der Grundlagenforschung gebrochen zu sein.

„Wir haben den Proof-of-principle erbracht, dass sich mit unserem Ansatz Influenzaviren hervorragend hemmen lassen“, sagt Prof. Dr. Christian Hackenberger, Bereichsleiter am FMP und Professor für Chemische Biologie an der HU. „Damit haben wir ganz neue Türen für klinische Experimente aufgestoßen.“
Bindungsstellen der Natur abgekupfert

Bei der Wirkstoffentwicklung haben die Forscher auf sogenannte multivalente Inhibitoren zurückgegriffen. In diesem Fall handelte es sich um Nanopartikel, die auf ihrer Oberfläche zahlreiche Liganden tragen, die sich ganz spezifisch an das Grippevirus binden. Durch die Vielzahl an Bindungen ist die Chance wesentlich größer, dass das Virus erkannt und Schachmatt gesetzt werden kann. Der multivalente Ansatz mit Zuckerliganden ist in der Literatur gut beschrieben. “Durch eine neue Strategie, in der wir Peptide als Liganden verwenden, konnten wir neue Inhibitoren herstellen, die für die chemische Synthese viel Spielraum bieten“, sagt Maria Glanz, Chemikerin am FMP.

Bei Grippe bildet das Immunsystem Antikörper gegen das Virus, ein Vorgang, der auch jährlich bei einer Grippeschutzimpfung ausgenutzt wird. In Vorarbeiten hatten die Forscher die Regionen der Antikörper identifiziert, die das Virus erkennen. Die entscheidenden Stellen wurden anschließend herausgeschnitten und am FMP von Maria Glanz synthetisiert. Die der Natur nachempfundenen Peptidsequenzen wurden dann als Liganden auf den Inhibitor gesetzt, und zwar in enormer Stückzahl. „Dadurch ist die Affinität zum Virus wesentlich größer, also bindungsstärker“, betont Prof. Dr. Andreas Herrmann, Leiter des Bereichs Molekulare Biophysik an der HU. Dies habe sich auch in den Experimenten bestätigt: „In-vitro haben unsere multivalenten Peptid-Nanopartikel-Konjugate richtig gut gegriffen.“
Neue Klasse von Molekülen enorm anpassungsfähig

Nach Auskunft der Forscher kann sich die neue Klasse von Molekülen viel leichter an die natürlichen Varianten des Virus anpassen, da sie auf unterschiedlichen Designs beruhen. Das ist wichtig, weil sich Virusproteine strukturell verändern können. Vorherige Systeme waren dagegen immer nur gegen eine Bindestelle am Virus gerichtet. „Wir haben jetzt wesentlich mehr Möglichkeiten und können unser System viel leichter adaptieren, etwa wenn Resistenzen und Mutanten entstehen“, erklärt Daniel Lauster. Weitere Vorteile seien, dass sich das neue Inhibitoren-Design auch für andere Peptidsysteme eigne und es sehr einfach zu synthetisieren sei.

„Das wirklich Neue an dem Konzept ist die Kombination aus multivalentem Inhibitor und sehr kurzen Antikörperfragmenten“, fasst Christian Hackenberger die Ergebnisse zusammen. Der Beweis sei zwar an Influenza A Viren erbracht worden, lasse sich aber auch auf andere Virusinfektionen übertragen. Biophysiker Andreas Herrmann, der auch Sprecher des IRI Life Sciences an der HU ist, ergänzt: „Das Projekt zeigt einmal mehr, wie gut wir in Berlin in der Grundlagenforschung aufgestellt sind und welche Früchte eine Zusammenarbeit von universitären und außeruniversitären Einrichtungen tragen kann.“

An dem Forschungsprojekt waren fünf große Berliner Forschungseinrichtungen aus dem Bereich Life Science beteiligt: Das Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP), das Institut für Biologie, Molekulare Biophysik, IRI Life Sciences der Humboldt-Universität zu Berlin (HU), die Charité – Universitätsmedizin Berlin, das Deutsche Rheuma-Forschungszentrum Berlin (DRFZ) sowie das Institut für Chemie und Biochemie – Organische Chemie an der Freien Universität Berlin. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat das Projekt im Rahmen des Sonderforschungsbereichs SFB 765 „Multivalenzen als chemisches Organisations- und Wirkprinzip: Neue Architekturen, Funktionen und Anwendungen“ gefördert.


Den Artikel finden Sie unter:

https://www.hu-berlin.de/de/pr/nachrichten/pm1705/nr_170502_00

Quelle: Humboldt-Universität zu Berlin (05/2017)

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