Freitag, den 26. Mai 2023 um 04:14 Uhr

Winzige Wirkstoff-Kristalle ganz klar

Bei medizinischen Wirkstoffen kommt es nicht nur auf die chemische Zusammensetzung an, auch molekulare Geometrie und Kristallstruktur spielen eine Rolle für ihre Wirkung. Mittels Elektronenbeugung gelang jetzt die Strukturaufklärung des Antiallergikums Levotirizin, wie ein Forschungsteam in der Zeitschrift Angewandte Chemie berichtet. Der Vorteil dieser Methode: Anders als bei der Röntgenkristallographie reichen Kristalle im Nanomaßstab.

Viele pharmazeutische Substanzen können, auch wenn sie chemisch identisch sind, verschiedene Kristallstrukturen annehmen oder Cokristalle mit Hilfsstoffen bilden. Dies kann die Eigenschaften des Wirkstoffs, wie Bioverfügbarkeit, Löslichkeit, Stabilität und Tablettierbarkeit, maßgeblich beeinflussen. Entsprechend wichtig sind strukturelle Aufklärungen bei der Entwicklung fortschrittlicher fester Darreichungsformen.

Als Standard- und Routine-Methode für die Bestimmung dreidimensionaler Strukturen kristalliner Moleküle und biologischer Makromoleküle mit atomarer Auflösung dient heute die Einkristall-Röntgen-Strukturanalyse (SCXRD). Die Atome des Kristalls lenken die Röntgenstrahlung so ab, dass ein Beugungsmuster entsteht, aus dem die Positionen der einzelnen Atome und die Struktur des Kristalls berechnet werden können. Dafür werden ausreichend große, gut streuende Einkristalle benötigt. Viele Verbindungen lassen sich jedoch nicht gut kristallisieren. Eine Alternative ist die Pulver-Röntgenbeugung (PXRD), bei der die Probe in Form eines Pulvers analysiert werden kann. Die Datenanalyse ist jedoch nicht einfach. Ist die Probe eine Mischung mehrerer Phasen derselben oder verschiedener Verbindungen, wird sie sehr schwierig und liefert oft uneindeutige Ergebnisse.

Eine noch junge Technik ist die 3D-Elektronenbeugung/Mikrokristall-Beugung (3D ED/MicroED). Statt Röntgenstrahlen werden Elektronenstrahlen eines Elektronenmikroskops gebeugt. Da die Wechselwirkungen von Materie mit Elektronen wesentlich stärker ist als mit Röntgenstrahlen, erzeugen bereits submikro- bis nanometergroße Kristalle auswertbare Beugungsmuster und die direkte Analyse von Bestandteilen mikrokristalliner Mischungen wird möglich.

Das Team um Durga Prasad Karothu und Panče Naumov nutzte die 3D ED/MicroED, um die Kristallstruktur von Levotirizin-Dihydrochlorid zu bestimmen. Levocetirizin ist ein rezeptfreies orales Antihistamin zur Behandlung allergischer Symptome z.B. bei Heuschnupfen und Nesselsucht. Trotz des breiten Gebrauchs war dessen Kristallstruktur bislang unbekannt, da sich keine für eine Röntgenkristallographie ausreichenden Kristalle züchten lassen. Kürzlich wurde die Struktur des Wirkstoffs per Pulver-Röntgenkristallographie und Computerberechnungen bestimmt – aber Unklarheiten und Uneindeutigkeiten blieben.

Das Team von der New York University Abu Dhabi (Vereinigte Arabische Emirate), der Rigaku Europe SE (Neu-Isenburg, Deutschland) sowie der New York University (New York, USA) arbeiteten mit Kriställchen, die sie durch Mahlen kommerziell erhältlicher Tabletten erhielten. Neben der Aufklärung der Kristallstruktur des Wirkstoffs gelang es ihnen durch ein spezielles Auswerteverfahren (Dynamical Refinement), die absolute Konfiguration von Levotirizin, d.h. die genaue räumliche Anordnung aller Atome innerhalb des Moleküls, eindeutig zu bestimmen.


Den Artikel finden Sie unter:

https://onlinelibrary.wiley.com/page/journal/15213757/homepage/press/202320press.html

Quelle: Gesellschaft Deutscher Chemiker e.V. (05/2023)


Publikation:
https://doi.org/10.1002/ange.202303761

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