Erstmals ist es gelungen, eine Verbindung zu synthetisieren, die
aromatische Ringe aus Stickstoffatomen enthält. Die Verbindung aus
Stickstoff und Kalium wurde unter extrem hohen Drücken und Temperaturen
hergestellt. Sie hat eine sehr komplexe Struktur, aber ihr Hauptbaustein
ist ein Ring aus sechs Stickstoffatomen, der wegen seiner negativen
Ladung als Hexazin-Anion bezeichnet wird. Die Anordnung der
Stickstoffatome im Hexazin-Anion ähnelt der Anordnung der
Kohlenstoffatome in Benzol, einer aromatischen Verbindung, die in der
Natur allgegenwärtig ist.
Obwohl sich der Begriff "aromatisch" ursprünglich auf den Geruch bezog,
wird er heute in der Chemie nur noch für Verbindungen verwendet, die
besondere elektronische, strukturelle oder chemische Eigenschaften
aufweisen. Die einzigartige Stabilität dieser Verbindungen wird als
Aromatizität bezeichnet. Aromatische Verbindungen spielen eine wichtige
Rolle in der Chemie und Biologie sowie in zahlreichen Industriezweigen.
Anfangs dachte man, dass nur Kohlenstoffringe aromatisch sind, aber
inzwischen hat sich gezeigt, dass Ringe, die neben Kohlenstoffatomen
auch andere Atome enthalten, und sogar Ringe, die aus anderen Atomen als
Kohlenstoff bestehen, aromatisch sein können. Die Aromatizität von
Stickstoff-Verbindungen beschränkte sich jedoch bisher auf das
[N₅]⁻-Pentazolat-Anion.
Einer internationalen Kooperation, an der das Laboratorium für
Kristallographie und das Bayerische Geoinstitut der Universität Bayreuth
beteiligt waren, ist jetzt der Durchbruch zu neuen aromatischen
Stickstoff-Verbindungen gelungen. Unter extremen Druck- und
Temperaturbedingungen wurde die Komplexverbindung K₉N₅₆ synthetisiert,
die [N₆]⁴⁻-Hexazinringe enthält. Die Struktur von K₉N₅₆ besteht aus
einer komplexen Anordnung von [N₆]⁴⁻- und [N₅]⁻-Ringen sowie neutralen
Stickstoffdimeren. Die Forscher fanden heraus, dass die Struktur des
[N₆]⁴⁻-Hexazinrings der nach dem Physikochemiker Erich Hückel benannten
Regel für die Aromatizität chemischer Verbindungen entspricht: Die
Verbindung ist zyklisch, sie ist planar – weil die sechs Stickstoffatome
sich in derselben Ebene befinden -, und sie hat (4n + 2) π-Elektronen
(10π-System).
"Dies ist das erste Mal, dass ein aus sechs Stickstoffatomen bestehender
Ring synthetisiert wurde, der mit Hückels Regel für Aromatizität
übereinstimmt. Für den aromatischen Charakter dieser Verbindung sprechen
außerdem Berechnungen der elektronischen Ladungsdichte und Überlegungen
zur Bindungslänge. Der neu synthetisierte [N₆]⁴⁻-Hexazinring hat eine
verblüffende Ähnlichkeit mit Benzol, der aromatischen
Kohlenstoffverbindung, die in der Natur allgegenwärtig ist", sagt Prof.
Dr. Dr. h.c. Natalia Dubrovinskaia vom Labor für Kristallographie.
"Unsere Studie liefert ein eindrucksvolles Beispiel für eine Verbindung,
die der üblichen Vermutung widerspricht, wonach eine einfache Struktur
mit hoher Dichte einhergeht. Wir hoffen, dass die Synthese des
aromatischen Hexazin-Anions zusammen mit der des aromatischen
[N₅]⁻-Pentazol-Anions weitere Forschungen zur Stickstoffchemie und die
Suche nach neuen technologischen Materialien auf Stickstoffbasis anregen
wird", ergänzt Prof. Dr. Dr. h.c. Leonid Dubrovinsky vom Bayerischen
Geoinstitut.
Die komplexe Verbindung K₉N₅₆ entstand unter ungewöhnlichen Bedingungen:
Kaliumazid (KN₃) und molekularer Stickstoff (N₂) wurden bei einem
Druck, der mehr als 400.000 Mal höher ist als der Druck der
Erdatmosphäre, komprimiert und mit Hochleistungslasern auf 2.000 Grad
Celsius erhitzt. Der nächste Schritt bestand darin, die Struktur dieser
neuen Verbindung zu entschlüsseln. Hierfür wurden Proben an zwei
Teilchenbeschleunigern, der Röntgenquelle PETRA III am Deutschen
Elektronen-Synchrotron (DESY) in Hamburg und der European Synchrotron
Radiation Facility (ESRF-EBS) in Grenoble, einem intensiven
Röntgenstrahl ausgesetzt.
"Wir waren sehr überrascht über die Anordnung der Atome in der
Verbindung K₉N₅₆. Sie ist von einer Komplexität, die bei Festkörpern,
die bei so hohen Drücken hergestellt werden, fast nie beobachtet wird.
Wir haben festgestellt, dass sie aus einer sich wiederholenden Anordnung
von 520 Atomen besteht: 72 K und 448 N. Obwohl wir sofort sehen
konnten, dass die planaren [N₆]⁴⁻-Ringe die Grundvoraussetzungen für
Aromatizität erfüllen, haben wir neueste Berechnungsmethoden angewandt,
um dies zu überprüfen", berichtet Dr. Dominique Laniel von der
Universität Edinburgh, Erstautor der neuen Studie.
Die erforderlichen rechnerischen Analysen wurden von Dr. Florian Trybel
und seinen Mitarbeitern an der Universität Linköping durchgeführt. Die
Berechnungen bestätigten die Stabilität von K₉N₅₆ und lieferten weitere
Erkenntnisse zur Aromatizität des [N₆]⁴⁻-Hexazinrings.
Den Artikel finden Sie unter:
https://www.uni-bayreuth.de/pressemitteilung/Aromatische-Stickstoffringe
Quelle: Universität Bayreuth (03/2023)
Publikation:
Dominique Laniel et al.: Aromatic hexazine [N₆]⁴⁻ anion featured in complex structure of the high-pressure potassium nitrogen compound K₉N₅₆. Nature Chemistry (2023),
WWW: https://www.nature.com/articles/s41557-023-01148-7
DOI: https://doi.org/10.1038/s41557-023-01148-7
Mittwoch, den 08. März 2023 um 04:54 Uhr